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Digital Desaster - Warum so viele Digitalfabriken scheitern


Viel Aktionismus - aber wenig spürbare Veränderung

Digitalfabriken als „Tempel der Digitalisierung“ stehen sinnbildlich für den allgemeinen Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung in deutschen Unternehmen. Viele dieser Labs werden als Heilsbringer gebaut - aber als zahnlose Tiger in die Welt geschickt. Sie sind als Versuchsstätten konzipiert, aber nicht als Treiber einer systematischen Vorbereitung der Unternehmen auf eine veränderte Umwelt. Genau hier aber liegt ihr eigentliches Potenzial.


Die Gründe für das Scheitern sind hausgemacht

Labs, Hubs oder Factories sind inzwischen in nahezu jedem Unternehmen in der ein oder anderen Form aufgebaut. Die Unternehmen wollen sich damit an die Digitalisierung herantasten. Abseits der gewohnten und als lähmend empfundenen Strukturen und Prozesse sollen hier innovative Produkte entstehen und neue Formen der Zusammenarbeit getestet werden. Offene Raumkonzepte, Tool-Boxen und die neuesten Hilfsmittel zur Ideenfindung unterstützen den Entwickler- und Pioniergeist. Gleichzeitig zeigt das Lab der Welt, dass das Unternehmen die Bewegung ganz vorne mit anführt und die Digitalisierung gestaltet, statt sich von ihr abhängen und verdrängen zu lassen.


Die grundsätzliche theoretische Idee solcher digitalen Brutstätten ist durchaus sinnvoll, doch die Realität in den Unternehmen sieht oftmals anders aus:


o Im Mittelpunkt stehen selten die Inhalte, sondern die sichtbaren Symbole der Digitalisierung Viele Labs fokussieren sich auf das Bühnenbild, statt sich Gedanken über die Inszenierung zu machen. So entsteht oft zwar eine attraktive Hülle, die im täglichen Tun aber nur wenige zu “bedienen” bzw. zu nutzen wissen. Die Digitaleinheiten sind viel zu oft nur vorzeigbare Innovationslabore, die man gerne nach außen darstellt, um sich den Anstrich einer modernen Organisation zu geben. Die Möglichkeiten und Potenziale vieler Labs zur Initiierung eines echten, unternehmensweiten Transformationsprozesses bleiben dabei häufig auf der Strecke.


o Während im Vordergrund das Neue sichtbar ist, regiert im Hintergrund das Alte Eine Digitalfabrik steht für Erneuerung. Sie beschäftigt sich mit Zukunftsthemen und propagiert neues Arbeiten. Bei genauerer Betrachtung funktionieren viele Labs jedoch nach den bekannten Mustern klassischer Organisationen. Ein agiles Mindset existiert meist nur vordergründig, denn solche bieten hervorragende Karrierechancen und da gilt es, sich entsprechend in Szene zu setzen. Das Ergebnis sind ausgeprägte Hierarchien, zentral Verantwortliche und komplexe Reporting-Linien in die Mutterorganisation. Und die öffentlich gefeierte Fehlerkultur stößt oftmals dann an ihre Grenzen, wenn es um die Übernahme von Verantwortung geht.


o Ein Erfahrungs- und Wissenstransfer in die Muttergesellschaft findet nur selten statt Die Digitalfabriken treten mit dem Anspruch an, anders zu sein als ihre Mutterorganisationen. Es werden also ganz bewusst Gräben gezogen: Tanker hier - Schnellboot dort. Allerdings führt diese Lagertrennung dazu, dass weder Austausch noch gegenseitige Befruchtung zustande kommen. Was im Lab entwickelt wird, bleibt auch im Lab. Die zunächst sinnvolle Distanz verhindert, dass die Digitalfabriken die Mutterorganisation weiterentwickeln. Und die Trennung verbaut den Blick auf die für die Organisation wichtigen Themenfelder. Dann verkommt die Digitalfabrik sehr schnell zum Selbstzweck, entwickelt ein Eigenleben und verliert die Bindung zum Rest der Organsiation. Das Ergebnis ist nicht selten die Entwicklung völlig isolierter Einzellösungen ohne jeglichen Business Kontext.


o Der erforderliche Reifegrad einer digitalen Innovation ist bei Übergabe in die Linie meist ungeklärt Wer Innovationen entwickeln will, muss auch innovativ arbeiten. Allerdings führt nicht jeder Design-Thinking-Workshop schon automatisch zu einem belastbaren Geschäftsmodell. Und leider ist der Prototyp an sich zwar ein guter erster Schritt, aber eben niemals der letzte auf dem Weg zu einer marktfähigen Innovation. Was passiert nach dem Prototyp? Wer setzt ihn um und wer gibt das Budget? Die ungeklärte Frage nach dem notwendigen Reifegrad einer neuen Lösung führt dazu, dass viele digitalen Innovationen in eine Art Verantwortungsvakuuum rutschen. Während die Digitalfabrik ihre Aufgabe als erledigt ansieht, ist das Produkt für den Fachbereich noch nicht marktfähig. So verharren viele digitale Innovationen weiterhin im Prototypenstadium und erblicken niemals das Licht des Marktes.


Die zentrale Rolle der Digitalfabrik ist nach wie vor nicht geklärt

All diese Punkte zeigen, dass viele Digitalfabriken als Leuchttürme konzipiert sind, die nach innen und nach außen strahlen, nicht aber als Treiber einer systematischen Vorbereitung der Unternehmen auf eine veränderte Umwelt. Und es macht mehr als deutlich, dass die zentrale Rolle solcher Digitaleinheiten nach wie vor nicht geklärt ist.

Es geht nicht darum, eine fancy App nach der anderen auf den Markt zu werfen, nur um nach außen als hip da zu stehen und den Eindruck zu vermitteln, vormals verlorenen Boden im digitalen Wettbewerb wieder gut gemacht zu haben. Wer so agiert, verspielt die große Chance, den so wichtigen Transformationsprozess nach innen und außen zu initiieren und zu orchestrieren.


Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Digital Factory einer deutschen Großbank. Noch vor zwei Jahren als innovativste Digitaleinheit der deutschen Bankenszene gefeiert, hat sich die Digital Factory inzwischen in ihre Einzelteile zerlegt. Die einstigen Digitalhelden haben allesamt den Konzern verlassen. Dabei war es nur eine Frage der Zeit, wann mal einer aus der obersten Führungsetage vorbeischaut und die Frage nach der Rentabilität der Digitalprojekte stellt. Und hier war die Digital Factory von Anfang an nicht gut aufgestellt. Zu sehr ging es um aufmerksamkeitsstarke Digitalanwendungen, die zwar alle groß gefeiert wurden, aber nie auch nur im Ansatz mit einem Business Case, geschweige denn Geschäftsmodell hinterlegt wurden. Irgendwann ist dann das Spielgeld auch mal aufgebraucht und das digitale Bällebad wird zu gemacht.


Für einen erfolgreichen Transformationsprozess braucht es die passenden Rahmenbedingungen

Wer die digitale Transformation tatsächlich meistern will, muss in der Lage sein, mit den sich wandelnden Umfeldfaktoren umzugehen. Heute, morgen und auch noch in 2050. Die wahre Aufgabe besteht darin, flexibel und anpassungsfähig zu werden und zu bleiben und das Leistungsangebot auf die zunehmend indivdueller werdenden Anforderungen des Marktes auszurichten.


In deutschen Konzernen sehen die Rahmenbedingungen für die digitale Transformation derzeit aber so aus: Individuelle Ziele stehen im Vordergrund, bereichsübergreifende Zusammenarbeit wird von vielen als anstrengend, zeitfressend und teilweise kontraproduktiv empfunden. Führungskräfte verteidigen nach wie vor ihren mühsam aufgebauten Status statt auf Kooperation und Kollaboration zu setzen. Mitarbeiter, die jahrelang auf Effizienz getrimmt wurden, konzentrieren sich auf ihren Schreibtisch und versuchen möglichst wenige Fehler zu machen. Unterstützt werden sie dabei von Anreizsystemen, die individuelle Leistungsbeiträge fördern und von Prozessen, die Verantwortung nach links und rechts verschieben lassen.


Für eine mutige Transformation und konsequente Ausrichtung an Kundenbedürfnissen und Markterfordernissen braucht es neue Rahmenbedingungen. Konkret: Eine klare unternehmerische Strategie, die das Unternehmen in einem wettbewerbsintensiven und komplexen Umfeld mittelfristig erfolgreich positioniert und es so angesichts der Volatilität ihres Umfeldes flexibel und anpassungsfähig macht. Nach innen braucht es eine gelebte Kultur der Offenheit und Entscheidungsfreude, die Führungskräfte und Mitarbeiter dazu ermutigt, neue Wege zu gehen und die Zukunft des Unternehmens aktiv zu gestalten.


Die eigentliche Aufgabe der Digitalfabrik

Ein solcher Systemwandel ist allerdings so ziemlich das Anstrengendste, was ein Unternehmen sich vornehmen kann. Raus aus der alten eingeschwungenen Routine und (noch) funktionierenden Geschäftsmodellen, rein in die digitale Ungewissheit. Umso wichtiger ist es, ein möglichst greifbares Bild davon zu entwickeln, wie das Neue aussehen könnte und das Unternehmen darauf schrittweise auszurichten. Genau das sollte die Aufgabe von Digitalfabriken sein. Nicht PR-Maßnahme, nicht ziellose Spielwiese, nicht Highlight der Besucherführung, sondern ein konsequenter Schritt, eingebunden in den langfristigen Plan für die digitale Transformation des Unternehmens.


Digitalfabriken sind nicht dazu da, Hort der Innovation zu sein, sondern sie sollen herausfinden, wie das ganze Unternehmen zu diesem Hort werden kann. In gewissem Sinne sind sie quasi selbst der Prototyp für die Zukunft des Unternehmens. Nach dem Testen und Verproben im Kleinen geht es darum, die entwickelten Lösungen in die Mutterorganisation zu überführen. Das klingt einfach, ist aber wohl der schwierigste – und gleichsam aber auch bedeutendste – Schritt auf dem Weg zur digitalen Transformation des Unternehmens. Denn genau an dieser Stelle der Übergabe scheitern die allermeisten Vorhaben.


Um diese notwendige Transition erfolgreich zu gestalten, sollte die Digitalfabrik folgende Aufgaben beherzigen:

o Gemeinsames Lernen ermöglichen Indem das Lab seine Lernerfahrungen im Prozess immer wieder mit der Mutterorganisation teilt, haben die Kollegen die Chance, sich schrittweise mit dem Neuen zu beschäftigen. Zudem erfolgt eine frühzeitige Identifikation mit der Veränderung.

o In Geschäftsmodellen denken und nicht in Apps

Um einen ganzheitlichen Transformationsprozess anzustrengen, bedarf es der Ausrichtung auf ganzheitliche Geschäftsmodelle. Einzelne Apps werden da nicht viel bewirken. Nur wer konsequent die bestehenden analogen Geschäftsmodelle hinterfragt und schrittweise digitalisiert, wird einen nachhaltigen Transformationsprozess in Gang setzen können.

o Skalierung gezielt betreiben Je mehr Unternehmenseinheiten das Neue bei sich ausprobiert haben, umso größer ist die Bereitschaft anderer Bereiche, sich einzulassen. Bei der Auswahl der Skalierungsumfelder ist deshalb entscheidend, wo der größte Nutzen und die größte Handlungsbereitschaft zu erwarten sind.

o Übergabe begleiten: Bei der Übergabe des Neuen in die Linie sollten Digitalfabriken die Führungskräfte und Mitarbeiter aktiv begleiten und nicht einfach das Neue über den Zaun werfen. Der Verantwortungsbereich der Digitalfabrik muss daher auch deutlich weiter gehen als nur bis zum Prototyp. Die Verantwortung hört erst dann auf, wenn sich das Neue auch in der Linie etabliert und bewährt hat.


Der Umgang mit der Digitalisierung ist in vielen deutschen Unternehmen noch immer von Unsicherheit und Zurückhaltung geprägt. Viel Aktion, aber nur wenig mutige Veränderung. Dadurch verschenken Unternehmen das Potenzial für eine erfolgreiche Transformation, viel Geld und vor allem Mitarbeitervertrauen und -engagement.


Digitalfabriken haben das Potenzial, ein Unternehmen gesamthaft zu verändern

Um die Digitalisierung als Chance zu nutzen, braucht es einen anderen Umgang. Und anders bedeutet hier eben, zukünftig noch überlegter, fokussierter, mutiger und reflektierter zu agieren. So haben Digitalfabriken bei aller an ihnen geübten Kritik durchaus das Potenzial, ein Unternehmen gesamthaft zu verändern und der neuen digitalen Umwelt gerecht zu werden. Dafür braucht es aber einen übergeordneten strategischen Rahmen sowie eine klare Aufgabenstellung in Richtung der Digitalfabriken.


Einige Unternehmen haben diese Notwendigkeit inzwischen erkannt. So hat sich die Digital Factory der DekaBank bereits mit ihrer Gründung als Transformationszelle aufgestellt. Mit ihrer 3-Säulen Strategie agiert das Team zum Einen als Business Accelerator, indem es akuten Digitalisierungsbedarf in der Organisation aufspürt und entsprechende Lösungen auf der digitalen Überholspur entwickelt. Mit der zweiten Säule sucht das Team als Business Initiator aktiv nach neuen Geschäftsmodellen jenseits der ausgetretenen Pfade. Um frühzeitig neue Technologien zu entdecken und diese auf Eignung für die eigenen Geschäfte zu überprüfen, spähen die Technologie-Scouts aus dem Technology Think Tank nach neuen Entwicklungen am Markt.


So hat die Digitale Factory die Blockchain Technologie genutzt, um finledger zu entwickeln. Diese Blockchain-basierte Plattform bietet die Möglichkeit zur digitalen Abwicklung von Schuldscheindarlehen über alle Stufen der Emissionsabwicklung einschließlich Geschäftsbestätigung und Urkundenerstellung. Die finledger-Plattform reduziert die Einzelschritte im Vergleich zum bisherigen mehrstufigen Abwicklungsprozess um mehr als 50%. Einzelne Prozessschritte können über finledger nunmehr in Sekundenschnelle ausgeführt werden.


Digitalfabriken haben das Potenzial, ein Unternehmen gesamthaft zu verändern

Ein Beispiel für ein Unternehmen, welches diesen Prozess bereits erfolgreich beschritten hat, ist die Otto Group. Mit der aufkommenden Digitalisierung zum Ende der 90er Jahre begann der Konzern mit der schrittweisen Transformation des Geschäftsmodells. Während sich der Konzern innerhalb der kommenden zehn Jahre konsequent und vollständig transformierte, verharrten die beiden größten Wettbewerber in ihren traditionellen Geschäftsmodellen und meldeten wenige Jahre später Insolvenz an.


Das Beispiel macht deutlich, dass es sich bei der Digitalen Transformation nicht um ein kurzfristiges Change Projekt handelt. Vielmehr erstreckt sich der Transformationsprozess über viele Jahre, denn am Ende müssen auch die Menschen mitgenommen werden. Und diese verändern sich bekanntlich deutlich träger als Technologien. Gleichsam zeigt das Beispiel aber auch auf, dass diejenigen Unternehmen, die den Transformationsprozess nicht angehen, über kurz oder lang aussortiert werden.


Am Ende geht es also nicht darum, auf das vorbereitet zu sein, was mit Gewissheit als nächstes passiert, sondern vielmehr darauf, was auch immer als nächstes passieren könnte. Denn bei einem zeitlichen Horizont von mehreren Jahren könnte dies ohnehin niemand mit Sicherheit vorhersagen. Diese Agilität im Geschäftsmodell - sowohl nach innen als auch nach außen - ist das eigentliche Ziel der digitalen Transformation.


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