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Agilität ist zuallererst eine Frage der inneren Haltung





„Sage es mir, und ich werde es vergessen.

Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten.

Lass es mich tun, und ich werde es können.“

Konfuzius


Agilität ist keine Methode, sondern eine innere Haltung!

Schon Konfuzius wusste, man kann nur etwas überzeugend weiterempfehlen, was man es selbst erlebt hat. Getreu diesem Motto beginne ich meine Workshops und Seminare zum Thema Agilität mit einer Selbsterfahrung der Teilnehmer. Hier lernen Führungskräfte mit Hilfe sehr simpler, gruppen-dynamischer Spielformen aus dem Ausbildungsplan des Professional SCRUM Masters, was Agilität bedeutet und wie sie wirkt.

So auch geschehen bei einer großen deutschen Bank. Als der Vorstand auf mich zukam und fragte, ob ich der Führungsriege der Bank, im Rahmen der auf Schloss Ahrenthal stattfindenden Führungskräfte-Tagung, das Thema Agilität näherbringen kann.

Für mich sind solche Veranstaltungen auch immer wieder eine Herausforderung. Denn ich konfrontiere erfahrene Top-Manager mit einem einfachen Spiel und warte gespannt auf die Reaktion, wenn ich ankündige: „Wir basteln heute Papierflieger!“


Selbstorganisation

Das Außergewöhnliche an diesem gruppendynamischen Spiel ist, dass sich Führungskräfte mit einer (vermeintlich) simplen Aufgabe konfrontiert sehen, sich aber in Gruppen zusammenfinden müssen, in deren Konstellation diese so wohl noch nie zuvor zusammengearbeitet haben. Jede Gruppe wird nach den Regeln der agilen Entwicklung in SCRUM Master, Product Owner und Entwicklungsteam aufgeteilt. Ich selbst nehme im Rahmen der Workshops die Rolle des Kunden ein.

In drei Iterationen versuchen die Teilnehmer in einem Zeitraum von jeweils 25 Minuten so viele Papierflieger wie möglich zu basteln. Die produzierten Papierflieger werden nach Fertigstellung auf einer Teststrecke auf Funktionsfähigkeit überprüft. Als funktionsfähige Papierflieger werden nur solche gezählt, die den Abnahmetest erfolgreich absolvieren.

Der große Vorteil dieser Spielart ist, dass es die wesentlichen Aspekte von Agilität auf spielerische Weise sichtbar macht. Denn im ersten Durchlauf beginnen die Teilnehmer der Teams in aller Regel die Papierflieger vollständig eigenständig zu bauen. Jeder für sich. Das Ergebnis ist für die meisten Teilnehmer sehr ernüchternd. Nicht nur, dass die Produktionsmenge überschaubar ist und die Papierflieger mitunter eine doch seltsam anmutende Form aufweisen, die allermeisten Exemplare schaffen den Abnahmetest nicht.

Nach jedem Durchlauf haben die Teams 10 Minuten Zeit für einen kritischen Rückblick auf das zuvor Geleistete, die sogenannte Retrospektive. Hier wird Planung, Produktion und Testablauf analysiert und bewertet. Und es werden erste Verbesserungsvorschläge zu Gruppenorganisation, Produktionsablauf und Aufgabenverteilung besprochen.

Das alles passiert, ohne dass es dafür einer Anweisung meinerseits bedarf.

Im zweiten Durchlauf agieren die Teilnehmer hingegen schon sehr viel teamorientierter. Auch die Kommunikation innerhalb der Gruppe wird intensiver. Die Gruppe beginnt sich zu organisieren, Aufgaben zu verteilen, den Produktionsprozess zu optimieren. Anstelle von Eigenfertigung, geht die Gruppe in eine Gruppenfertigung über, bei der jedes Gruppenmitglied eine bestimmte Aufgabe übernimmt. Sequenzielle Abläufe werden durch parallelisierte Abläufe ersetzt. Hatte man zuvor erst alles produziert und im Anschluss getestet, läuft jetzt Produktion und Test gleichzeitig. So können erste Testerfahrungen noch während der Produktion zurückgemeldet werden.


Kollektiver Schockzustand

Im dritten Durchlauf kommt dann der ultimative Schock für das Team. Gerade erst im Team gefunden und euphorisiert von den Fortschritten der zweiten Runde, fange ich plötzlich in meiner Rolle als Kunde an, unbequeme Fragen zu stellen. Sofern mich bislang die Gruppe nicht schon nach meinen Wünschen und Anforderungen gefragt hat. Was allerdings in aller Regel nicht passiert. Nicht selten blicke ich in erstaunte Gesichter, wenn ich die Frage stelle:

„Was ist eigentlich die Zielmarke? Was soll der Papierflieger leisten?“

Hier wird den Teilnehmern zum ersten Mal deutlich gemacht, wie voreingenommen wir manchmal an die Dinge herangehen. Ganz selbstverständlich geht jede Gruppe davon aus, dass es auf der Testrecke darum geht, den Flieger möglichst weit fliegen zu lassen. Testapparaturen wie Trennwände werden dabei weitestgehend ignoriert. Dementsprechend hektisch wird das Treiben in der Produktion, wenn ich dem Product Owner meine eigene Frage beantworte:

„Ich möchte gerne, dass die Flieger möglichst hoch fliegen. Zumindest so hoch, dass sie über die Trennwand rüber fliegen!“

In einer kurzen Phase der Neuorientierung werden Design und Flugeigenschaften der Papierflieger neu überdacht und mit der Produktion abgestimmt. Gerade als das Team wieder loslegen will, komme ich mit der nächsten Frage um die Ecke:

„Ach übrigens, hatte ich schon erwähnt, dass meine Papierflieger blau sein sollen?! Haben Sie mich eigentlich schon gefragt, in welcher Farbe die Papierflieger sein sollen?“

Wieder verfällt die Gruppe in einen kollektiven Schockzustand. Hektisch gibt der Product Owner Anweisungen, die Flieger blau anzumalen. Aber nachdem der erste Flieger vom Band rollt, gebe ich mich nicht zufrieden. Ganz blau solle er sein, nicht nur ein paar blaue Streifen.

Nach ein paar ratlos ausgetauschten Blicken, kommt der Product Owner auf die richtige Frage: „Sagen Sie mal Herr Hölscher, haben Sie vielleicht auch blaues Papier zum Workshop mitgebracht?“ Selbstverständlich habe ich. Mit einem Wink in die Ecke erhellen sich die Gesichter der Gruppe wieder.

Nach der ersten Selbsterfahrung der dynamischen Selbstorganisation kommen die Teilnehmer zur zweiten wichtigen Erkenntnis. Es ist sinnvoll, den Kunden vorher zu fragen, was er will. Der vermeintliche Instinkt, die Wünsche und Anforderungen des Kunden zu kennen, weicht der Erkenntnis zur Notwendigkeit einer deutlich ausgeprägteren Kundenorientierung oder auf Neudeutsch: Customer Centricity!


Die Ergebnisse können sich sehen lassen

Stellvertretend für alle Teams soll hier die Entwicklung einer Gruppe über die drei Iterationen aufgezeigt sein. Während die Anzahl der produzierten Flieger in der ersten Runde noch bei mageren acht Exemplaren lag, wurde die Anzahl in der zweiten Runde bereits auf 18 Flieger gesteigert. In der dritten Runde kam das Team dann auf eine beachtliche Anzahl von 45 Fliegern und hatte die Produktion in nur drei Iterationen um mehr als 500% gesteigert.

Ähnlich sah es bei der flugtechnischen Abnahme der Flieger aus. Waren es in der ersten Runde gerade einmal 12% der Flieger, so konnten in der zweiten Runde bereits 33% der Flieger den Parcours erfolgreich durchfliegen. Großer Jubel dann in der dritten Runde, als mit 86% nahezu alle Flieger die Prüfung erfolgreich bestanden.

In nur 3 Iterationen ist es den Teams gelungen, sowohl die Produktivität als auch die Effizienz signifikant zu steigern. Und das alles, ohne Vorgaben oder Anleitungen von meiner Seite erhalten zu haben. Am Ende konnte jede Gruppe den Produktions-Output mehr als vervierfachen und die Quote der erfolgreich absolvierten Testflüge auf über 80% steigern.


Agilität kann Jeder

Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass die Teilnehmer keinerlei Handlungsanweisung des Seminarleiters benötigen. Sie organisieren sich selbst und finden in der Gruppendiskussion schnell zu einer Organisation innerhalb der Gruppe und zu einer Aufteilung der verschiedenen Aufgaben.

Und diese Erfahrung bildet dann die dritte wesentliche Erkenntnis und auch das Schlusswort meiner Workshops und Seminare:

„Das, was Sie heute hier geleistet und erfahren haben, das können ihre Mitarbeiter auch. Vertrauen Sie ihren Mitarbeitern, dass sie viel besser in der Lage sind, sich selbst zu organisieren, als Sie das bislang vermutet haben.“


Fazit

Was bedeutet das nun für das Führen in agilen Zeiten? „Agiles Führen ist eine dynamische Haltung, ein Mindset, das Veränderung als Dauerzustand begreift. Agile Führungskräfte sind beweglich, flexibel und fähig zur Transformation von Menschen, Teams und Prozessen. Sie begreifen Führung als Rolle, die definierte Aufgaben beinhaltet, anstatt als Position oder Funktion.“ (Hofert, 2018)


Agile Führungskräfte, so Hofert, handeln daher prozess- und zielorientiert und fördern die Selbstorganisation der Mitarbeiter durch eine permanente Teamentwicklung.

Dafür müssen die Führungskräfte aber selbst offen für die Veränderung der Arbeitsorganisation sein.


Ablehnung und Blockade solcher Führungsstile entstehen in erster Linie aus Unwissenheit, das ist ein menschlicher Urinstinkt. Die Manager in den deutschen Unternehmen haben sich in der Vergangenheit immer mehr auf das Verwalten anstatt auf das Gestalten verlagert.


Zukünftig wird aber wieder deutlich mehr Unternehmergeist gefragt sein. Unternehmen müssen Sorge dafür tragen, dass eine Unternehmenskultur Einzug hält, die neue Ideen fördert und nach vorne bringt. Und das Management muss sich hier dringend zum Teil der Lösung machen, um nicht Teil des Problems zu werden (Hölscher, 2017).






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